Heulmeisje Es war Sonntag. Im Jahre 1976, am 24. Oktober so gegen 17 Uhr wurde die Leiche einer jungen Frau im Wald gefunden: nackt, bedeckt mit Laub, Ästen und Schmutz. Organisch lag nichts vor: keine Krankheit, keine Vergiftung; Anzeichen von Schuss- oder Stichwunden waren auch nicht vorhanden - wahrscheinlich war ihr entweder die Kehle aufgeschlitzt oder sie war erdrosselt worden. Die üblichen Ermittlungen: Gebiet durchkämmen, Nachbarn befragen, Metalldetektor blieben ohne Ergebnis, die geballte Konzentration der Polizei richtete sich daher auf die Liste aller vermissten Mädchen, die zur Beschreibung passten: Um etwas über ihre Lebensweise herauszufinden, wurden ihre Haare genauer untersucht, eine Prozedur, die damals nicht oft angewandt wurde. Da auch diese Ergebnisse nicht zur Identifizierung führte, setzte sich der Name "Heulmeisje" nach dem Parkplatz De Heul als Fundort durch, der sich an der A12 befand, einer viel befahrenen Autobahn bei Maarsbergen, Niederlande, etwa 40 Autominuten von der deutschen Grenze entfernt. Durch den Vergleich von Projektionen des Schädels mit Fotos, unter anderen von der vermissten 16-jährigen Schülerin Monique Jacobse, die am 7. April 1975 aus ihrem Elternhaus verschwunden war, versuchte man 1986 eine völlig neue Technik, um das Heulmeisje doch noch zu identifizieren. Und siehe da: sie passten. Zugegeben, Moniques Zahnarzt hatte im Jahre 1976, unmittelbar nach dem Fund die Zahndaten miteinander verglichen und war rasch zum Schluss gekommen, dass es nicht Monique sein konnte (*völlig korrekt: meine Zähne waren bereits in den USA reichlich mit Amalgam bedacht worden - es war nicht zu übersehen*). Doch offenbar waren dem Zahnarzt bürokratische Fehler unterlaufen, und plötzlich hatte die Polizei einen Namen. Endlich. 1994 wurde die Akte, diesmal mit Monique Jacobse vorne darauf, erneut eröffnet, nachdem die Polizei einen Tipp wegen einem 73jährigen Mann aus Groenlo als möglichen Mörder bekam, der auch geographisch paßte: der damals 55-Jährige hatte 1976 an einer Schule in der Nähe vom Fundort unterrichtet. Nach seiner Pensionierung war er mitsamt Frau nach Groenlo gezogen, wo seine Gesundheit sich drastisch verschlechterte - zweimal war der depressive Mann in einer psychiatrischen Einrichtung gewesen. Verschiedene Begebenheiten hatten seine Frau misstrauisch werden lassen, sie vermutete ein schreckliches Geheimnis und konfrontierte ihn mehrmals mit dem Leichenfund von 1976. Aber er leugnete jedes Mal. Dann kam seine Verhaftung und er musste erneut in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden. Die ständigen Vorwürfe und Verhöre, das Mißtrauen - irgendwann gestand der alte Mann die Tat, was dank einiger Indizien durchaus ernst genommen wurde - zumal er seiner Familie vor der Verhaftung gestanden haben soll. Bis 2006 zweifelte niemand außer ihrem Zahnarzt daran, dass das Heulmeisje Monique Jacobse war, dann meldete sich Monique überraschenderweise *ich übernehme jetzt besser selbst: Wir alle waren uns immer sicher, dass unsere Schwester Marion Jacobse irgendwann in der Öffentlichkeit Erfolg haben würde, und so googelte ich 2006 (würde ich heute nicht mehr machen, es gibt Suchmaschinen, die keine Daten sammeln), um ihr alles Gute zum 50. Geburtstag zu wünschen. Ich war nicht sicher, ob mein zaghaftes Anklopfen nach so vielen Jahren willkommen war, daher gab ich mich nicht sofort zu erkennen und eierte herum (kann ich gut). Irgendwann mußte ich verblüfft feststellen, dass sie wahrhaftig Zweifel an unsere Verwandtschaft hatte - ernste Zweifel. Das hatte ich nicht erwartet. Erst als ich mit Details aufwartete, die nur wir beide wissen konnten, wurde sie stützig: Die Sucherei nach der Identität des Heulmeisje ging also erneut los, dafür war die Technik drei Dekaden weiter. Man ordnete eine Gesichtsrekonstruktion an; Schädelmaße und zahnärztliche Aufzeichnungen von 1976 wurden ebenfalls verglichen. Das Ergebnis war ein Foto, das 2007 in "Opsporing Verzocht" vom niederländischen Sender präsentiert wurde; das Bild ist nicht aktuell, wird daher hier nicht gezeigt. Der Siegeszug der DNA ging bekanntlich erst 2012 in den Labors los, mehrere vermissten Mädchen sind seitdem ausgeschlossen worden. Die Polizei war enorm fleißig, es gab viele Hinweise aus der Bevölkerung, etwa von einem Mann, der aussagte, das Heulmeisje und einen Mann gefahren zu haben: sie sollen Deutsch gesprochen haben und gerieten während der Fahrt in Streit. Das Mädchen soll gesagt haben, sie wolle nach Deutschland zurückkehren, während der Mann in den Niederlanden bleiben wollte. Der Fahrer erinnerte sich daran, dass das Mädchen Stuyvesant Zigaretten rauchte und dass sie in der Gastronomie gearbeitet hatten, entweder in Den Haag oder Scheveningen. Das Paar verließ das Auto etwa 1 Kilometer vom Parkplatz De Heul entfernt. Solche Hinweise waren keine Seltenheit, dieses Beispiel mag reichen. Zudem meldeten sich etliche Anwälte im Namen von Familien, die wissen wollten, ob das Mädchen nicht ihr Kind sein konnte. Kein Treffer. *Sorry, bin nicht makaber genug, Details zu schildern, bitte selbst suchen - es ist erschütternd.* Es kamen Isotopenuntersuchungen hinzu. An Haaren, Zähnen und Knochen des Heulmeisjes konnte man feststellen, dass sie in einem vulkanischen Bereich aufgewachsen war. Innerhalb Europas hieß das: die Eifel (Deutschland), Auvergne (Frankreich), Böhmen (Tschechische Republik), Griechenland oder Italien. Die Sauerstoffisotope hingegen schlossen Auvergne, Griechenland und Italien aus. Auch Böhmen kam nicht mehr in Frage. Kurz: es blieb nur die Eifel. Anfang 2013 verkundete das Niederländische Forensische Institut Heulmeisjes endgültige Alter: 13,5 bis 15 Jahre - doch ein gutes Stück jünger als ursprünglich angenommen. Die alte Rekonstruktion von Heulmeisjes Gesicht ging von einem älteren Mädchen, fast schon junger Frau aus, also musste eine neue Rekonstruktion her. Die neue Rekonstruktion wurde in Schottland an der University of Dundee angefertigt und in "Opsporing Verzocht" präsentiert:
2013 kam die deutsche Polizei mit dem Plan einer DNA-Verwandtschaftssuche, mit dem Hintergedanken, Heulmeisjes DNA-Profil mit denen der Polizeidatenbanken von beiden Ländern zu vergleichen - vielleicht konnte man so einen Verwandten des Mädchens aus dem Hut zaubern? Dies wurde 2016 von Deutschland genehmigt und meines Wissens bisher nicht durchgeführt. In den Niederlanden gibt es übrigens (leider) eine Verjährungsfrist auch für Mord, Priorität hat daher für die NL nicht die Auffindung des Mörders, sondern die Identität dessen Opfer: das Heulmeisje. Aber vielleicht ist er ja ein Deutscher oder Amerikaner. Ja, es ist 34 Jahre her, und das ist eine ganze Weile. Dennoch: kann es doch sein, dass sie trotzdem irgendwo immer noch fehlt: eine Schwester, Tante, ehemalige Schulfreundin? Wer Hinweise hat, bitte gleich an die Polizei weiterleiten. Im Namen aller Weggelaufenen und zurückgebliebenen Verwandten und Freunden - speziell meiner nie kennengelernten kleinen "Schwester" Heulmeisje: danke!
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